Reportage: Die Granitz auf Rügen – Mit Wanderschuhen auf Zeitreise
Bei einer Wanderung durch die Granitz erleben Besucher die einzigartige Natur und können sich dabei in eine andere Epoche zurückversetzen lassen: Denn mitten im ältesten Waldgebiet Rügens liegt das Jagdschloss, einst ein beliebtes Reiseziel europäischer Adliger.
Majestätisch krönt das Schloss die grüne Insel. © Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen M-V/Funkhaus Creative
Es ist diese tiefe Ruhe, an die ich mich im ersten Moment gewöhnen muss. Ranger Steffen Sprenger kennt das schon von Besuchern, die wie ich zum ersten Mal im Biosphärenreservat Südost-Rügen unterwegs sind. „Gleich wirst du merken, dass hier ganz schön viel los ist“, sagt der Ranger. Und tatsächlich: Hier raschelt das Laub, dort knarzt ein Ast und einige Vögel pfeifen fröhlich ihre Morgenmelodie.
Die Granitz ist eines der größten und ältesten Waldgebiete der Insel. In dem rund 1000 Hektar umfassenden Naturschutzgebiet gibt es nicht nur seltene Pflanzen, der riesige Rotbuchenbestand bietet auch Rehen, Marderhunden oder Dachsen einen vorzüglichen Lebensraum. Es sind ihre Fährten, die unsere Wanderung zu einer Entdeckungsreise machen – es sind aber auch die historischen Spuren, die uns zurückversetzen in eine andere Zeit.
Der Weg führt vom Ostseebad Sellin durch den dichten Wald hinauf zum Jagdschloss Granitz – einst ein beliebtes Reiseziel europäischer Adliger. Von 1837 bis 1846 wurde es im Auftrag von Wilhelm Malte, dem I. zu Putbus, erbaut.
Je länger wir wandern, desto weiter dreht sich das Rad der Geschichte zurück. Nach drei Kilometern erreichen wir den Schwarzen See. „Er ist in der Eiszeit entstanden“, erklärt Steffen. Dass der sogenannte Restsee im gleichnamigen Kesselmoor 54 Meter über dem Meeresspiegel liegt, stellt für Rügen eine Besonderheit dar. Auf dem nährstoffarmen Wasser schwimmt eine Pflanzendecke aus Moosen, Wollgräsern und Teichrosen. „Gänsesäger ziehen hier ihre Jungen groß“, so der Ranger. Wer lange stillsitzen kann, bekommt vielleicht auch die scheuen Fischotter zu Gesicht.
Das Schloss strahlt die Macht des Fürstentums aus
Nach einem Abstecher zu den Buchenbeständen an den Steilhängen, die zu den artenreichsten des norddeutschen Tieflandes zählen, erreichen wir das Jagdschloss Granitz. Das Gebäude behauptet sich mit seinen Türmen und der rosafarbenen Fassade – es steht als aufgeräumter Kontrast zur wilden Natur. Dass die Granitz den Fürsten zu Putbus als Jagdrevier diente, spiegelt sich überall wider. Denn Jagd versinnbildlicht Macht. Und die sollte mit dem hochgelegenen Luxusbau sichtbar werden. Dafür sorgt auch der aufragende Mittelturm mit seiner innen liegenden Wendeltreppe.
Ich atme einmal tief durch, bevor ich meinen Fuß auf die erste von 154 gusseisernen Stufen setze, die mich 38 Meter in die Höhe führen. Dort oben auf dem Turm, der sich deutlich über die Baumwipfel erhebt, genieße ich den Ausblick über ganz Rügen.
Mit Volldampf kündigt sich ein weiterer Zeitzeuge an
Als wir schließlich das größte Seebad der Insel erreichen, ist der Ausflug in die Vergangenheit noch nicht zu Ende: In Binz erinnern die strahlend weißen Villen im Stil der Bäderarchitektur an den Anfang der Seebad-Ära zur Jahrhundertwende.
Mit einem lauten Rattern kündigt sich noch ein weiterer Zeitzeuge an: Seit 1895 verbindet die Dampflok „Rasender Roland“ die Seebäder auf Rügen. Mit 30 km/h fahren wir gemächlich, aber dennoch mit Volldampf über die Insel.
Für mich geht mit dieser Fahrt eine Spurensuche zu Ende, die verbindet, was in der Granitz zusammengehört: die überwältigende Natur und die Faszination der jahrhundertealten Kultur, die noch heute überall erlebbar ist.
Weitere Fotos zum Herunterladen:
Meer im Blick – vom Steilufer und von der Seebrücke Sellin (Quelle: TMV/Krauss)
Zeitzeuge: Der Rasende Roland verbindet noch heute die Seebäder auf Rügen (Quelle: TMV/Krauss)