Glitzernde Splitter, ein helles Surren und ganz viel Fingerspitzengefühl. Mit jedem Stück des goldbraunen Steines, das Henning Schröder an seine Schleifmaschine hält, lebt ein Stück mecklenburgische Tradition weiter. Der deutschlandweit letzte aktive Bernstein-Drechsler-Meister liebt sein Handwerk, das er lange Zeit in einer kleinen Werkstatt am Saaler Bodden in vollendeter Kunst interessierten Urlaubern und Einheimischen präsentierte. Inzwischen hat er seinen Arbeitsplatz in das Deutsche Bernsteinmuseum in Ribnitz-Damgarten verlegt. Hier zieht er mit einer europaweit einzigartigen Sammlung der Edelsteine Gäste aus nah und fern an. Die Bernsteinstadt ist heute noch einer der Orte in Mecklenburg-Vorpommern, der Kultur bewahrt und Identität vermittelt. Eine Identität, die sich aus dem speist, was über Jahrhunderte die Menschen hier prägte. Und die bis heute ein Teil des Geheimrezepts des Urlaubslandes Nummer Eins in Deutschland ist.
Wo Urlaub erfunden wurdeVoll ist es am Strand. Dicht an dicht reihen sich unterhalb der Kühlungsborner Flaniermeile Urlauber, jeder einzelne in einer kleinen privaten Sonnenoase aus Flechtwerk. Was für den gewöhnlichen Deutschen ein gewöhnlicher Anblick, ist eine Erfolgsgeschichte mit ungewöhnlicher Herkunft und Historie. Im Jahr 1882 war es der Hofkorbmachermeister Wilhelm Bartelmann in Rostock, der den ersten Strandkorb anfertigte. Weit entfernt von einer Massenproduktion entwickelte Bartelmann das Stück aus Weiden und Rohr ganz allein für die adelige Rostockerin Elfriede von Maltzahn. Die extravagante Sitzgelegenheit sorgte schnell für Aufsehen und Neider, so dass der fingerfertige Handwerker die Gelegenheit nutzte und kurze Zeit später in Warnemünde die erste Strandkorbvermietung eröffnete.
Die Zeit des Strandkorbs ist auch die Zeit der Sommerfrische, die Zeit des Ausbruchs aus dem Alltag, die Zeit des Reisens zum Zwecke der Erholung. Im Jahr 1793 gründete Herzog Friedrich Franz I. von Mecklenburg-Schwerin in Heiligendamm das erste deutsche Seebad und weckte damit eine Leidenschaft und ein Gefühl in der Gesellschaft, das sich in den Folgejahren weit über die Landesgrenzen hinaus etablierte.
Erste Besuche des kleinen Seebads im Norden Mecklenburgs oblagen dem Adel, Hofstaat und gehobenen Bürgertum. Der zunehmende Andrang von Urlaubsgästen ließ in den folgenden Jahren zunächst in Heiligendamm, später auch entlang der gesamten Ostseeküste prachtvolle Gebäude im Stile der Bäderarchitektur entstehen. Mit klassizistischen Elementen, weiß und strahlend, imposant und zugleich harmonisch liiert mit der Umgebung prägt diese Architektur bis heute die Urlaubsorte Mecklenburg-Vorpommerns.
Hoch lebe das HandwerkWas dem einstigen Adel sein Strandkorb, ist dem gemeinen Urlauber unserer Tage das Erlebnis. Mehr als irgendwo sonst in Deutschland ist das Urlaubserlebnis dabei so eng mit der Tradition der Region verbunden wie in Mecklenburg-Vorpommern. Bootsbauer Jens Lochmann ist so einer, der nicht nur Gäste in seinen hölzernen Fischerjollen über den Bodden vor Fischland-Darß-Zingst schippert, sondern den Bootsbau nach jahrhundertealter Praxis fortführt. In seinem kleinen Schuppen in Althagen hämmert, schleift und werkelt er an alten Zeesbooten, die mit ihren viereckigen Segeln und breiten Rümpfen auch flachste Gewässer meistern. Mehr als 500 Jahre setzten Fischer an den Haff- und Boddenregionen auf die tiefbraun schimmernden Jollen als Fanggefährt der Wahl.
Wer Jens Lochmann einen Besuch abstattet, wird schnell merken, dass an allen Ecken und Enden der Halbinsel Tradition und gelebte Kultur verschmelzen. Bereits beim Anblick der mit Schilfrohr bedeckten Fischerkaten und deren Türen fällt auf, dass die darauf abgebildeten Muster sich doch leicht von der Gestaltung heimischer Einlässe abheben. Die Formen und Symbole gehen auf die lange Tradition der Seefahrer zurück, die hunderte Jahre lang von Fischland-Darß-Zingst und Umgebung aus in die Welt fuhren. Unterwegs Erlebtes, (Un)glückliches und Unerwartetes findet sich graviert und geschnitzt hier wieder. Und auch wenn die Fahrzeiten der Seemänner kürzer geworden sind und die Rückkehr wahrscheinlicher, wird die Tradition weitergelebt. Bis heute fertigen Tischlereien auf dem Darß die reich und bunt verzierten Türen.
Tüffel auf’m Traktor und Küken in der ScheuneMecklenburg-Vorpommern hat Platz, viel Platz. Viel Platz zum Erleben und zum Genießen, viel Platz zum Reisen und zum Sonnen. Viel Platz, um zu erfahren, was echte Freiheit ist. Das ist der Jahrtausende alten Landwirtschaft zu verdanken, die noch heute außerhalb der wenigen großen Städte die Landstriche prägt. Wer viel arbeitet, darf auch viel feiern. Da liegt es auf der Hand, dass allerorten mal kleinere, mal größere Dorffeste alte Gewohnheiten hochleben lassen und die harte Arbeit des Alltags würdigen. Und verwunderlich ist auch nicht, dass immer mehr Urlauber das Erlebnis auf dem Lande für sich entdecken.
In der Lewitz, der größten zusammenhängenden Wiesenlandschaft weit und breit, dreht sich jedes Jahr im Oktober einen ganzen Monat alles um des Deutschen liebste Beilage, die Kartoffel. Bei den Tüffelwochen wird gefeiert und geschnackt, erlebt und probiert – alles vor standesgemäßer Kulisse des alten Pingelhofes in Alt Damerow, der mehr als 400 Jahre auf dem Buckel hat.
Wer den langen Weg zur Lewitzer Tüffel dann doch scheut, muss sich seinen Braten nicht verderben lassen. Fast jeder Hof in Mecklenburg-Vorpommern verkauft in einem eigenen kleinen Lädchen alles nötige aus der Erde, vom Tier oder vom Baum. Schmalz und Speck, Eier von glücklichen Hühnern, Ziegenkäse oder naturtrüber Apfelsaft von den Streuobstwiesen der Region. Das Schöne: Wer hier seine Milch kauft, kann direkt fragen, welches Futter die dazu passende Kuh gefressen hat. Er sieht bei einer Hofbesichtigung, unter welchen Bedingungen produziert wird. Und er bekommt von der Bäuerin eine Erklärung, warum ihr Brot besonders lange haltbar ist – nämlich nicht, weil es voller Konservierungsstoffe steckt, sondern weil sie den Teig schon einen Tag vor dem Backen angesetzt und viel Zeit zum Ruhen gegeben hat.
Goldiges für den GaumenOb auf dem platten Land wie in der Lewitz oder einige Kilometer weiter in der Stadt: Nahezu alles, was hier auf dem Tisch landet, kommt aus dem Meer und aus Seen, von Feldern, Wiesen und Weiden der Umgebung. Die besondere Lage am Wasser, der viele Wind und nahrhafte Boden haben schmackhafte Delikatessen hervorgebracht. Sanddorn zum Beispiel. Als leicht bittere, nicht minder leckere Früchtchen trotzten sie bisher jeglichem Umwelteinfluss und finden sich heute in Saftform, als Marmelade oder entspannende Heilmittel in vielen Restaurants und Wellness-Oasen wieder. Landläufig auch als Gold des Nordens bekannt, hat Sanddorn damit eine große Gemeinsamkeit mit einer weiteren traditionellen Spezialität des Landes: dem Bier.
Um Bier für den Seehandel und die damit verbundenen langen Überfahrten haltbar zu machen, kamen die Braumeister in den Hansestädten früh auf die Idee Hopfen zu verwenden. Das wohlschmeckende Gebräu erfreute sich in Dänemark, Norwegen und sogar in England so großer Beliebtheit, dass stetig Nachschub organisiert werden musste. Kein Wunder also, dass im Jahr 1549 allein in Stralsund rund 170 Brauhäuser dem lukrativen Geschäft nachgingen. Zwar sind es heute mit landesweit 24 Brauereien nicht mehr ganz so viele – mit mehr als 100 Sorten Bier ist die Auswahl am flüssigen Brot in Mecklenburg-Vorpommern aber größer als je zuvor.
Was passt besser zum Bier als frischer Fisch. Uwe Krüger widmet sich in Ahlbeck als einer der letzten Strandfischer der Insel Usedom dem Gold des Meeres. Dort, wo früher jeden Morgen Hunderte kleine Boote ins Wasser gezogen und nach dem Anlanden die Fänge gepult wurden, bietet Krüger heute in einer rustikalen Fischerhütte Schmackhaftes aus dem salzigen Nass an. Dabei bleibt es ganz dem Gast überlassen, ob der Fisch herzhaft geräuchert, klassisch am Stück oder fein filetiert auf den Teller kommt.
Dat sin de Mäkelbörger„Joo, so ist dat bei uns in Mäkelbörg – wir schnacken Platt. Nur wisst ihr nicht, wat schnacken is, ne?“ So oder so ähnlich könnte er lauten, der Schnack mit Uwe Krüger oder anderen Originalen aus Mecklenburg-Vorpommern. Und von denen gibt es heute noch mehr als man denkt. In fast jedem Urlaubsort am Meer wird von alten Seebären, Fischern und Landwirten die plattdeutsche Sprache gelebt und damit ein Stück heimisches Kulturgut erhalten.
Wer jemanden von diesem Schlag treffen will, hat gute Chancen bei einem der traditionellen Feste im Nordosten. Beim Tonnenabschlagen auf der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst etwa. Der Sage nach begann alles mit dem Abzug der Schweden und damit, dass nun keine Fässer voller Heringe mehr als Tribut gezahlt werden mussten. Seitdem werden in Wustrow, Ahrenshoop oder Prerow jedes Jahr im Sommer Tonnen abgeschlagen und Könige gekürt.
Nicht weniger sportlich, dafür ebenfalls in langer Tradition toben ab dem Spätsommer überall im Land historische Schleppjagden mit Pferden, Hunden und ganz viel Tara. Während es früher dabei eher blutig zuging und Fährten bis zum bitteren Ende verfolgt wurden, geht es heutzutage allein um das Abenteuer im mecklenburgischen und vorpommerschen Walde. Strecken werden vorgegeben und künstliche Spuren gelegt, die dann von der Mecklenburger Meute aufgespürt werden. Am Ende wartet auf Hund und Herrchen eine Belohnung. Denn man tau.
Weitere Informationen zu Traditionen und Bräuchen in Mecklenburg-Vorpommern sowie passenden Urlaubsangeboten gibt es unter
www.auf-nach-mv.de.
Traditionsreiche Veranstaltungen 2017 (Auswahl):
18. März bis 2. April: 15. Wismarer Heringstage
24. bis 25. Juni: Mittsommer-Remise, eine Nacht der nordischen Guts- und Herrenhäuser
1. Juli: Blow Boys Shanty Chor bei den Wolgaster Hafentagen
15. Juli: 30. Dierhäger Zeesbootregatta im Saaler Bodden
3. bis 6. August: 20. Heringsdorfer Kaisertage auf der Insel Usedom
6. August: Traditionelles Tonnenabschlagen in Born auf dem Darß
8. bis 10. September: Historische Schleppjagd „Usedom Cross Country“
16. und 17. September: Retro-Rad-Veranstaltung „VeloClassico“ in Mecklenburg-Schwerin
11. November: Martensmannfest im Kloster Rehna
Kulturgut erleben – Ausflugstipps:
Strandkorbfabrik Heringsdorf: Die älteste noch bestehende Strandkorbmanufaktur der Welt steht auf der Insel Usedom. Seit 1925 werden hier in traditioneller und reiner Handarbeit die an fast jedem Ostseestrand zu findenden Sonnenplätze gebaut.
Landgestüt Redefin: Das herrschaftliche klassizistische Ensemble liegt inmitten unberührter Natur und kann auf eine mehr als zweihundertjährige Tradition in der Pferdezucht und -ausbildung zurückblicken.
Darß-Museum: Das kleine Museum im Ostseebad Prerow stellt einige der einzigartigen Darßer Türen aus. Die bunt verzierten Tischlerstücke stehen für die Seefahrertradition der Halbinsel und finden sich bis heute an vielen Häusern auf Fischland-Darß-Zingst.
Schloss Ulrichshusen: Mehr als 2.000 Schlösser, Guts- und Herrenhäuser gibt es zwischen Ostsee und Seenplatte. Eingebettet in die Natur der Mecklenburgischen Schweiz gilt das Schloss Ulrichshusen dabei als eines der schönsten und historisch-kulturell bedeutendsten der Region.
Fischerdorf Freest: Direkt am Peenestrom liegt mit Freest eines der ältesten Fischerdörfer des Landes. Neben ganz viel maritimem Flair – jeder fünfte in Mecklenburg-Vorpommern gefangene Fisch hat Freester Luft geschnuppert – wird hier mit dem Teppichknüpfen einem der traditionellsten Handwerke der Ostseeregion nachgegangen. Das Freester Heimatmuseum stellt die bekanntesten Exponate aus.
Weitere Fotos zum Download:
Binnenfischer Oliver Pahlke in der Feldberger Seenlandschaft (Foto: TMV/pocha.de)
Trachtengruppe im Freilichtmuseum Klockenhagen (Foto: TMV/pocha.de)
Strandkörbe vor der Ahlbecker Seebrücke auf Usedom (Foto: TMV/Bleyer)
Frischer Fisch im Sternerestaurant „Alte Schule Fürstenhagen“ (Foto: TMV/pocha.de)