Seit 25. Juni 2011 ist es amtlich: Fünf deutsche Waldgebiete gehören zum Welterbe der Menschheit und genießen damit den gleichen herausragenden Status wie der Yellowstone-Nationalpark, die Victoriafälle oder Darwins Galápagos-Arche. Die UNESCO würdigte damit den außergewöhnlichen und universellen Wert der „Alten Buchenwälder Deutschlands“ – als Ökosysteme, „die das Erscheinungsbild eines ganzen Kontinents in weltweit einzigartiger Weise geprägt haben.“
Die Waldflächen liegen in Hessen (Nationalpark Kellerwald-Edersee), Thüringen (National-park Hainich), Brandenburg (Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin) und gleich doppelt in Mecklenburg-Vorpommern: im Nationalpark Jasmund auf der Insel Rügen und im Müritz-Nationalpark in der Mecklenburgischen Seenplatte. Die fünf Schutzgebiete bildeten gewis-sermaßen eine Nachhut – denn sie ergänzten die bereits 2007 zum Welterbe erklärten „Bu-chenurwälder der Karpaten“ in der Slowakei und der Ukraine. Als vereintes Welterbe bilden sie alle Typen von Buchenwald ab, der einstmals weite Teile Europas bedeckte.
Auch heute noch sind Buchenwälder einzigartig. Als Naturräume und Rückzugszonen für Pflanzen, Vögel, Kleinsäuger und Insekten – die Zahl allein der Käferarten in Buchenwäldern wird auf mehrere hundert geschätzt. Aber auch für den Menschen waren sie stets überle-benswichtig – hier holte er Bau- und Brennholz, sammelte Beeren und Pilze, ging auf die Jagd, weidete das Vieh. Bis heute prägt die Buche auch unsere Kultur: Sie ist nicht wegzu-denken aus Märchen und Sagen. Auf sie gehen Worte wie Buch oder Buchstabe zurück. Rund 1.500 Orte in Deutschland tragen die Buche im Namen – von Buchholz bis zur slawischen Form Buckow. Und nicht zuletzt sind Buchenwälder unersetzlich als Erholungsraum.
Im Nationalpark Jasmund auf der Insel Rügen etwa fasziniert die grandiose Kulisse des Bu-chenwalds, der sich von den weißen Kliffhängen der Kreideküste spektakulär hinabzustürzen scheint ins blaugrüne Meer. Ein Naturschauspiel, das den Maler Caspar David Friedrich be-reits vor fast 200 Jahren immer wieder inspirierte zu fantastischen Gemälden. Dass die Bu-chen hier nicht nur überlebten, sondern auch prächtig gediehen und richtig alt wurden, ist dem Standort zu danken – der unzugänglichen Lage wegen wurde der Jasmunder Buchen-wald nie forstwirtschaftlich genutzt. Und so wachsen hier unter hohen Buchenwipfeln voll-kommen ungestört Riesenschachtelhalm und Zwiebelzahnwurz, blühen seltene Orchideen wie der Frauenschuh, brüten Wanderfalken und Seeadler, siedeln Mehlschwalben in großen Kolonien an den Hängen des Kreidekliffs.
Auch der Buchenwald von Serrahn im Müritz-Nationalpark ist ein typischer Tiefland-Buchenwald, wie es ihn nur noch im Nordosten Deutschlands gibt. Eine von der Eiszeit hüge-lig geformte Waldlandschaft mit hunderten Seen, Mooren und Wiesen, in der sich ebenfalls viele seltene Tier- und Pflanzenspezies ausgesprochen wohl fühlen. Im wasserreichen Biotop leben Kraniche und Rohrdommeln, brüten See- und Fischadler. In alten Baumriesen und ab-gestorbenen Totholzstämmen wohnen Rote-Liste-Sorgenkinder wie die Mopsfledermaus, Käfer-Notfälle wie der Eremit, Schmarotzer-Pilze wie der Buchen-Schleimrübling und zahllo-se andere Insekten, Pilze, Flechten und Moose.
Ähnlich wie auf der Insel Rügen gibt es auch in Serrahns Wäldern schon seit sehr langer Zeit keine intensive fortwirtschaftliche Nutzung mehr. Schuld – aus heutiger Sicht ein enormer Segen – war die Jagdleidenschaft der Großherzöge von Mecklenburg-Strelitz, die dieses Re-vier sogar umzäunten, um es vor Jagdfrevel und Holzdiebstahl zu schützen. Bis 1945 blieb das Gebiet um Serrahn der privilegierten Jagd vorbehalten. 1952 bereits wurden die Wälder zum Naturschutzgebiet erklärt und 1990 schließlich in den neuen Müritz-Nationalpark integriert. Wo die alten Stämme erahnen lassen, wie die einstigen Urwälder in ganz Deutschland einmal ausgesehen haben.
Die 1000-jährigen Eichen von Ivenack
Ick weit einen Eikbom, de steiht an de See
de Nurdsturm de brust in sin Knäst;
stolz reckt hei de mächtige Kron in de Höh,
so is dat all dusend Johr wäst.
Fritz Reuter
Sagenhafte 1000 Jahre! Die Eichen von Ivenack beginnen zu keimen, als slawische Siedler ihr Weidevieh in die Wälder treiben – da endet gerade das erste Jahrtausend nach Christus. Sie strotzen bereits vor Kraft, als auch die Zisterzienser-Nonnen des Klosters Ivenack ab 1252 ihre Schweine, Schafe und Rinder im Wald weiden lassen. Durch den Tierverbiss wird dieser allmählich immer lichter; die Eichen jedoch wachsen unbeirrt weiter, ihre Früchte sind eine wichtige Nahrungsquelle für die Tiere. Zur Reformation haben sie schon stattliche 500 Jah-resringe auf dem knorrigen Zähler. Und heute, noch einmal 500 Jahre danach, ragt die mächtigste der sechs erhaltenen XXL-Exemplare wie eine gigantische Säule gen Himmel. Mit einem Durchmesser von 3,50 Metern. Einem Umfang von 11 Metern. Einer Höhe von 35,5 Metern. Und einem Volumen von 180 Kubikmetern Holz. Anders gesagt: Es handelt sich um das größte, älteste und stärkste Lebewesen in ganz Deutschland.
Kein Wunder, dass sich um diese Methusalems allerlei Mythen und Sagen ranken. Da sollen einst sieben Nonnen ihr Gelübde gebrochen und zur Strafe in Eichen verwandelt worden sein. Erst nach tausend Jahren werde die Erste erlöst, jede weitere Nonne/Eiche jeweils hundert Jahre später. In einer anderen Sage werden die Nonnen im Schlaf von Räubern überrascht und fliehen halbnackt in den Wald. Doch sie schämen sich ihres sündhaften An-blicks und bitten Gott, dass er sie schützen möge wie die Bäume im Wald. Und genau das tut er dann auch, indem er sie verwandelt in Eichen. Weitgehend wahr ist die Geschichte von Herodot, einem berühmten Zuchthengst aus dem Ivenacker Gestüt. 1806 vor französischen Truppen in einer hohlen Eiche versteckt, verriet er sich durch Wiehern, wurde entdeckt und zu Napoleon gebracht, der ihn auch ritt. 1814 brachte Marschall Blücher den Schimmel nach Mecklenburg zurück. Als er dort 1829 starb, wurde er ehrenvoll bestattet – natürlich unter einer Eiche.
Ivenack heute – das ist ein einzigartiger Tiergarten, in dem die erwähnte mittelalterliche Landnutzungsform des Hudewaldes (Hütewald) weiterhin gepflegt wird. Auch wenn die Rolle des Weideviehs schon seit langem von eingegattertem Damwild übernommen wurde, blei-ben so die natürlichen Bedingungen weitestgehend erhalten, unter denen die Eichen steinalt geworden sind. Verzichtet wird deshalb auch konsequent auf künstliche Stabilisierungsmaß-nahmen und Schönheitsoperationen wie Baumchirurgie oder Ausmauern, lediglich einfache Barrieren um die Eichen schützen die empfindlichen Wurzelbereiche. Und so sind und blei-ben die Ivenacker Eichen eine kultur- und naturhistorische Besonderheit, die ihresgleichen sucht in Deutschland.
www.weltnaturerbe-buchenwaelder.dewww.nationalpark-jasmund.dewww.mueritz-nationalpark.dewww.wald-mv.de www.auf-nach-mv.de
Weitere Fotos zum Herunterladen:
Sie leben und leben und leben - die Eichen von Ivenack sind einmalig in Deutschland. (Foto: E. Eichler)Seit 2011 gehören 500 Hektar Jasmunder Buchenwald zum Unesco-Weltnaturerbe. (Foto: E. Eichler)