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10.08.2017

3 min

Feature: Blow, boys, blow …

Shantys gehören zur Küste wie der Wind, die Wellen und das Meer. In Meck-lenburg-Vorpommern ist diese Tradition quicklebendig. Dank alter Barden und junger Gipfelstürmer

Die Blowboys © Foto Art ThoMar
Sie heißen „Luv und Lee“, „De Klaashahns“, „De Fischlänner Seelüd“, oder „De Prohner Hafengäng“. Und sie gehören als Stimmungsmacher zu jeder maritimen Party wie die Wellen, der Wind und das Meer. Sie – das sind zumeist als Seebären kostümierte ältere Herren, die mit kräftigen Stimmen zum Schifferklavier die Romantik der christlichen Seefahrt und die Sehnsucht nach exotischen Zielen heraufbeschwören. Sie lassen „La Paloma“ fliegen und die „Ostseewellen“ an den Strand trecken. Sie besingen „De Hamborger Veermaster“ und seh-nen sich nach der Liebsten in „My bonnie is over the ocean“. Sie gehen auf Heimatkurs mit „Rolling home“ und fragen sich „What shall we do with a drunken sailor?“ Und natürlich kommt auch kein echter Shantychor rum um „Aloa – he“ – den ewigen und unverwüstlichen Partykracher. Dabei hatten diese Songs ursprünglich nichts zu tun mit Feiern und Frohsinn. Im Gegenteil: Zu Zeiten der Großsegler kamen Shantys als Arbeitslieder in Mode, um auf Handelsschiffen und Fischfängern all jene körperlich harten und anspruchsvollen Arbeiten koordinativ zu unterstützen, die gemeinsamer Kraftanstrengung bedurften: Anker hieven, Segel setzen, Rahen aufziehen, Netze einholen, Winden und Pumpen betätigen, Schiffe löschen und Schiffe bela-den. Meist wurde dabei vom sogenannten Shantyman ein Solo vorgesungen, welches die Mannschaft mit einem Kehrreim erwiderte. Dadurch entstanden ein gemeinsamer Rhyth-mus und Flow, welche die Arbeit leichter werden ließen. Shantys entstanden aber auch aus Volksliedern afroamerikanischer und karibischer Hafenar-beiter in den USA-Südstaaten. Shantys gehörten zum Alltag auf schottischen Walfängern und skandinavischen Fischfangflotten. Shantys wurden mitgebracht aus den Heimatländern der Matrosen und mitgenommen aus den Häfen der angelaufenen Länder. Bei der Übernahme fremder Melodien gab es keinerlei Scheu – gesungen wurde, was gefiel, und selbst Kinder-lieder konnten als Shanty wiedergeboren werden. Je nach Arbeit und Schiff entstanden un-terschiedliche Shanty-Stile wie Capstan-Shanty (Ankerlichten) oder Halyard-Shanty (Segelsetzen); das Auswechseln der Mannschaft wurde im Marschrhythmus gesungen. Bei Shantys in geselliger Abendrunde ging es oft um das Tagesgeschehen. Um Wehmut und die Sehnsucht nach der Heimat. In Mecklenburg-Vorpommern sorgen rund ein Dutzend Chöre dafür, dass die Shanty-Traditionen hochgehalten werden. Zum Beispiel die „Reriker Heulbojen“. Der dienstälteste Shanty-Chor im Land ist bereits seit 1947 aktiv, seinen ungewöhnlichen Namen ver-dankt er einem Rundfunk-Höreraufruf des Senders Rostock. Seither begeistern die Sänger aus dem kleinen Ort am Salzhaff die Zuhörer in Region und Republik mit ihrem mehrstimmigen Gesang – für ein Laienensemble durchaus nicht selbstverständlich. Aktuell sind 40 Sänger im Chor aktiv, der im April 2017 quicklebendig seinen 70. Geburtstag feierte. Mit ihrem Anspruch an Klangqualität und Mehrstimmigkeit sind die Heulbojen auch ge-schätzte Partner bei Gastspielen renommierter Ensembles aus dem In- und Ausland. Sie treten auf mit Show-Größen wie DJ-Ötzi oder dem Don Kosaken-Chor. Sie ernten Beifallstürme bei Weihnachtskonzerten in norddeutschen Kirchen. Sie sind Dauergast in NDR-Fernsehsendungen wie „Aktuelle Schaubude", "Bi uns to hus“ oder "Das Beste im Norden“. Sie reüssierten unter anderem beim Shantyfestival in Prag, beim Adventssingen im Wiener Rathaussaal oder beim Gottesdienst in der Dresdner Frauenkirche. Nicht zu vergessen – das karitative Engagement der Heulbojen: Die Erlöse aus Benefizkonzerten kommen dem Verein zur Förderung krebskranker Kinder Rostock e. V. und den Seenotrettern der DGzRS zugute. Doch nicht nur die alten Barden halten dem Shanty stimmgewaltig die Stange. Seit Anfang 2015 mischt ein Ensemble aus zwölf jungen Männern in der Szene mit und diese zugleich kräftig auf: die „Blowboys“ aus Rostock. Auch sie singen von unendlichen Weiten, vom Leben auf dem Meer und von hübschen Mädchen, die ihr Herz einst in fernen Häfen gebrochen haben – aber damit hat es sich auch mit den Gemeinsamkeiten. Bei den Blowboys gibt es keine alten Seebären, keine langen Bärte und auch keine Matrosenkluft. Sie sind zwischen 25 und 35 Jahren alt, arbeiten als Klavierbauer, Sozialpädagoge, Doktorand und Lehrer oder studieren in der Mehrzahl an der Rostocker Hochschule für Musik und Theater. Dort entstand Anfang 2015 eher zufällig die Idee zur Gründung eines Shanty-Chores. Als einer der zwölf für seine Akkordeon-Abschlussprüfung gesangliche Verstärkung für einen Hamburger Shanty brauchte, bat er Kommilitonen vom Kammerchor um Hilfe. Diese – allesamt klassisch ausgebildet – sagten zu und waren fortan Feuer und Flamme für die alten Seemannslieder. Seither pflegen die Blowboys, die ihren Namen dem Veermaster-Refrain „Blow boys blow, for Carlifornio“ entlehnten, nicht nur die Shanty-Klassiker; sie arrangieren und interpretieren sie zum Teil auch ganz neu. Graben in Vergessenheit geratene Perlen maritimer Musik wieder aus. Und singen die ursprünglich meist zweistimmigen Lieder in anspruchsvoller Vierstimmigkeit – mal a cappella, mal begleitet mit Akkordeon oder Klavier. Der Lohn: Auftritte ohne Ende und diverse Auszeichnungen bei deutschen und internationalen Chorwettbewerben. Weitere Informationen:
www.shanty-choere.de
www.blowboys.de
www.rerikerheulbojen.de